Die chinesische Studentin Yangjie Li wurde in Dessau-Roßlau ermordet. Freunde organisierten kurzzeitig eine Gedenkveranstaltung. Ich war dabei und blieb bis zum Ende.

Yangjie Li – der Name einer 25-jährigen Studentin aus China, die immer mit Dessau verbunden sein wird – auf einer traurigen Art und Weise. Denn sie wurde ermordet. In Dessau gibt es gut 800 Studenten. Und Freunde von ihr organisierten kurzfristig eine Gedenkveranstaltung unter dem Titel „Jogging in Memorial of Yangjie Li“ um an sie zu erinnern. Yangjie Li joggte gern.

Ich kannte sie nicht. Vielleicht unbewusst über den Weg gelaufen, denn so groß ist Dessau nicht. Doch ich hatte das Bedürfnis mit zu joggen. Ich hatte das Gefühl, dass es richtig sei daran teilzunehmen. Und darüber zu schreiben, um die Erinnerung an Yangjie Li und die Tat ihrer Freunde festzuhalten.

Vorbereitungen im Stadtpark.

Zu Beginn versammelten sich die Teilnehmer am Stadtpark. Es sollte um 18:30 Uhr starten. Als ich gegen 18:20 Uhr ankam, waren schon viel bereits dort und später kamen noch mehr. Am Ende sollen es über 200 gewesen sein. Die Organisatoren verteilten gelbe Bänder als Erkennungszeichen. Sogar die Polizisten trugen diese. Apropos Polizei – irgendjemand hat es sogar geschafft, dass die Polizei uns „Begleitschutz“ gab und die Straßen sperrten, wenn wir vorbeikamen. Egal wer es war, an dieser Stelle ein Dankeschön, dass es wirklich so kurzfristig geklappt hat.

Es gab eine kurze Ansprache, in der es hieß, dass einige vorausfahren um den Weg zu kennzeichnen. Im Nachhinein war es eine gute Idee.

Los geht's.

Es war schier unglaublich, als es losging. Und ich war erfreut das sehen zu können. Froh darüber ein Teil von etwas großartigen zu sein. Und ich glaube, jeder wusste das auch für sich selbst, dass es das Richtige tat.

Ich lief also mit. Mittendrin im geschehen. Ich hatte keine Jogginghose, keine passenden Schuhe. Aber das war unwichtig. Die Route führte vom Rathaus-Center zur Stadtsparkasse, dann in Richtung Dessau-Nord zur Schlachthofstraße/Eduardstraße und dann zur Am Friedrichsgarten/Lessingstraße. Vor dort aus weiter zu den Gleisen der Wörtlitzer Bahn und weiter Richtung Norden bis zur Gaststätte Riekchen. Von da aus ging es an Dessau 05 vorbei weiter zum Schillerpark und dann zum UBA. Von dort aus zur Bahnhofsbrücke und zum Ziel – der Seminarplatz, Campus der Hochschule Anhalt.

Besondere Ereignisse auf der Strecke.

Als wir am NH Hotel vorbeikamen, stand da eine Dame allein am Straßenrand und sie applaudierte. Sie wusste sicherlich weshalb und warum wir dort liefen. Ich glaube, dass Sie mit ihrem Applaus zeigen wollte, dass Sie auch Anteil nimmt, aber nicht hätte mit laufen können. Alles was Sie zu dem Zeitpunkt hätte tun können war, uns Beifall zu spenden.

Ich fand es bemerkenswert.

Kurze Zeit später, nahe Am Friedrichsgarten/Lessingstraße, wo ich es etwas langsamer anging, überholte mich ein Mann in einem weißen Hemd, blaue Jeans und Lackschuhe. Ja Lackschuhe. Und er lief an mir vorbei, als wäre er Profisportler und ich nur ein untrainierter Bürohengst (Letzteres stimmt sogar). Aber ich bewunderte ihn und seine Ausdauer. Ich habe ihn auf der gesamten Strecken nicht mehr einholt und sah ihn erst am Seminarplatz wieder.

Am Riekchen begegnete ich eine eine Gruppe von zwei älteren Herren und einer älteren Dame. Sie hatte rot-braunes Haar und eine rote Jacke an, wenn ich mich richtig erinnere. Jedenfalls kam es zu einem kurzen Gespräch.

Ein älterer Herr fragte mich, was die gelben Bändchen zu bedeuten haben und deutete auf das Bändchen an meinem Handgelenk. Ich antwortete, dass die Farbe gelb in China die Farbe der Trauer sei. Daraufhin sprach die ältere Dame Ihren Beileid aus. In Ihren Augen konnte ich sehen, dass Sie es mehr als nur ehrlich meinte.

Im Nachhinein habe ich gemerkt, dass ich was falsches gesagt hatte. Nicht gelb ist die Farbe der Trauer, sonder weiß. Gelb bedeutet Leben, Toleranz. Ich entschuldige mich hiermit bei den älteren Damen und Herren.

Das lange Band des Lebens.

Als ich am Seminarplatz ankam, waren (natürlich!) schon einige bereits dort und nach mir kamen auch weitere Menschen. Ich war also immerhin nicht Letzter. Aber darum ging es auch nicht. Es wurden am Seminarplatz Freigetränke verteilt und ich nahm dieses Angebot ebenfalls sehr gerne an. Das Mineralwasser hat selten so gut geschmeckt.

Nachdem alle am Ziel waren und sich eine Pause gönnten, wurde von den Organisatoren angekündigt, dass die Bändchen von allen, zu einem Band verknotet werden soll. Gesagt, getan. Nur ich hatte mein Bändchen nicht auf die schnelle von meinem Handgelenk entknoten können, also beließ ich es erstmal dabei.

Als das lange Band fertig war, hatte der gebildete Kreis geschätzt einen Durchmesser von ca. 15 Metern! Danach wurde eine Gedenkminute eingelegt und alle senkten Ihre Köpfen und schwiegen. Zu guter Letzt wurde das lange Band des Lebens um die Bäume umwickelt und ich hatte endlich die Zeit mein Bändchen zu entknoten und es am lange Band fest zu binden, dabei kamen mir fast die Tränen. Es war schon ein seltsames Gefühl. Andere taten es ebenso und einer nach dem anderen verließen den Seminarplatz – der Platz des Lebens.

Ich habe Blasen an den Füßen und werde sicherlich Muskelkater haben. Aber das war es wert – das Richtige zu tun! Und ich glaube Dessau kann mit erhobenen Hauptes von sich sagen, dass es eine tolerante Stadt ist, mit großartigen Menschen! Diese Gedenkveranstaltung musste ich einfach fotografisch dokumentieren. Undzwar vom Anfang bis Ende. Ein Bericht, welches nicht in dieser Form in der Presse zu finden sein wird. Ganz im Sinne von „in memory for Yangjie Li“.

Fotos.

Reaktionen.

Du hast tolle Worte für dieses traurige Ereignis gefunden. Danke dafür.

- Heike - 19. Mai 2016

Schöne Fotos, Jing Zhou, auch wenn es ein trauriger Anlass war. und ich freue mich auch, das so viele mitgelaufen sind. Ich kenne selbst eine ehemalige chinesische Architektur-Studentin (Lu Ye), die hier an der FH Anhalt Architektur-‚Design studiert hat, habe selbst 10 Jahre lang Wushu Kampfkunst (Taijiquan, Qigong etc.) betrieben (mein Trainer ist Chinese (Xiao Peng) und somit eine besondere Verbindung zum Chinesischen, das mich diese schlimme Nachricht bis ins Mark getroffen hat.

- Silvia Gabriel - 19. Mai 2016

An diesem Mittwoch sollte ein Laufwettbewerb stattfinden, doch für mich stand außer Frage, diesen kurzfristig abzusagen, als ich von dem Lauf erfuhr. Ich lebe gerne in Dessau und bin zutiefst bestürzt über das Geschehene :'( ….Jedoch fand ich diesen „Gedenklauf“ eine sehr gute Variante um seine Anteilnahme am Schicksal der ermordeten Studentin zu zeigen. Jing Zhou – hast Du toll festgehalten! …in memory of Yangjie Li :'(

- Markus Landgraf - 19. Mai 2016

„…überholte mich ein Mann in einem weißen Hemd, blaue Jeans und Lackschuhe.“ An dieser Stelle Ihres bemerkenswerten Textes lief mir beim Lesen eine Träne die Wange herunter… Ich danke Ihnen für Ihre eindrucksvollen Beobachtungen und Schilderungen, die mich sehr bewegt haben. An den „Mann mit dem weißen Hemd“: Ich möchte Ihnen hiermit meinen Respekt zollen! Vielen Dank für diese tolle Geste! Hochachtungsvoll – mit lieben Grüßen HEin Deutscher, der mit einer wunderbaren chinesischen Frau glücklich liiert ist…

- F - 21. Mai 2016

Vielen Dank für Deine Worte!

- Katja - 21. Mai 2016

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